„Teilzeitstudium ab spätestens 2009“
Wissenschaftsminister Hahn im UniStandard-Interview über die Barrieren im Studium und Unterstützung für behinderte Studierende. Um Studierenden mit Behinderungen den bürokratischen Hürdenlauf zu ersparen, sollte die ÖH die zentrale Anlaufstelle sein, fordert Wissenschaftsminister Johannes Hahn im Gespräch mit Tanja Traxler und Julia Wurm.
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UniStandard: Aus dem Studierendensozialbericht 2006 geht klar hervor: Studierende mit Behinderung leiden unter den schlechten Rahmenbedingungen an den Unis, vor allem in Kärnten und Tirol. Warum wird dort nicht verstärkt investiert?
Hahn: Die einzelnen Unis handeln im Rahmen ihrer Autonomie verschieden. Manche befreien Studierende mit Behinderung von den Studiengebühren. Die Kunstakademien meinen, es gibt keine Behinderung – das geht zumindest aus ihren Berichten hervor. Unsere Sozialerhebung hat aber das Gegenteil gezeigt. Die Uni Wien bemüht sich dezidiert um Barrierefreiheit. Bei Neubauten sehen wir das vor, aber es gibt viele Unis in alten Gemäuern, wo es schwierig ist. Es ist ein berechtigtes Anliegen, aber mit extremen Kosten verbunden. Für die unmittelbare Arbeit mit Behinderten sind die Unis zuständig.
UniStandard: Aber es gibt kein zusätzliches Geld – wie soll das funktionieren? Der gehörlose Student Siegfried Bachmayer hat für fünf Kurse 10.000 Euro Dolmetschkosten („Keiner fühlt sich zuständig“). Wer das bezahlt, ist unklar: Land und Unis weisen die Verantwortung von sich. Es fehlt eine zentrale Anlaufstelle.
Hahn: An der ÖH gibt es ja vielfach Behindertenreferenten, die könnten diese Funktion wahrnehmen. Aber ich meine, dass das Land durchaus eine Verantwortung hat, wenn es um die Frage der persönlichen Assistenz geht. Das ist eine Zuständigkeit des Landes.
UniStandard: Das heißt, das Land sollte dafür einspringen?
Hahn: Einspringen würde implizieren, dass es keine geregelte Zuständigkeit gibt. Die gibt es da durchaus.
UniStandard: Was kann man verbessern, damit es Behinderten erspart bleibt, von einer Behörde zur anderen zu pilgern?
Hahn: Mein Appell wäre, dass entweder am Sozial- oder am Behindertenreferat der jeweiligen ÖH eine entsprechende Kompetenz aufgebaut wird, so sie nicht schon vorhanden ist. Wir werden uns zusammensetzen, um Lücken zu identifizieren. Es gibt auch Bemühungen bei der neuen Novelle des Studienbeihilfengesetzes.
UniStandard: Inwieweit wird darin berücksichtigt, dass behinderte Studierende Voraussetzungen wie Anspruchsdauer aus gesundheitlichen Gründen oft überschreiten?
Hahn: Wir möchten die Anspruchsberechtigung von 30 auf 35 Jahre ausdehnen und ein zusätzliches Toleranzsemester pro Abschnitt schaffen.
UniStandard: Das Teilzeitstudium wäre für behinderte Studierende eine Hilfe, aber auch für die Vielzahl der berufstätigen Studenten – warum gibt es das noch nicht?
Hahn: Ich möchte mit der Rektorenkonferenz Gespräche führen, sodass wir die Möglichkeit eines Teilzeitstudiums schaffen. Das stellt aber quasi eine Halbierung des Studiums dar, auch was die Möglichkeit der Anzahl an Prüfungen anbelangt. Das ist administrativ regelbar, aber man muss sich schon am Anfang eines Semesters entscheiden, ob man ein Vollzeit- oder Parttime-Student ist.
UniStandard: Wann wird das Teilzeitstudium möglich sein?
Hahn: Wenn die Rektoren mitspielen, was ich mir sehr wünsche, denn das ist eine politische Forderung, die von vielen Seiten erhoben wird, ab spätestens 2009/2010. (DER STANDARD Printausgabe, 11. Dezember 2007)
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Keiner fühlt sich zuständig
Gehörloser Student bangt um Geld: Dolmetschkosten pro Semester belaufen sich auf über 10.000 Euro
Linz – „An meiner Uni gibt es keine Rahmenbedingungen für gehörlose Studierende“, erklärt Siegfried Bachmayer, der als einziger Gehörloser an der Linzer Kepler-Uni inskribiert ist. „Es war mir vor dem Studium bewusst, dass mich an der Universität Hürden erwarten.“ Dennoch studiert er nun bereits im vierten Semester Soziologie, denn er will zeigen, dass es „Möglichkeiten gibt, alltägliche Hürden mit Authentizität, Freundlichkeit und Wille anzusprechen und sie zu lösen“. Er ist überzeugt: „Hürden schaffen auch neue Perspektiven.“
Was seinen Studienalltag von dem seiner Kollegen unterscheide, sei, dass er Einzelgänger ist. „Die meisten wissen leider nicht, wie man mit Gehörlosen kommuniziert, als wären sie Außerirdische.“
Um dem Unterricht folgen zu können, sind zwei Gebärdensprachendolmetscher erforderlich. Da Universitätsdolmetschen sehr anspruchsvoll ist, sei „fehlerfreies Übersetzen nicht länger als 20 Minuten möglich“, berichtet Bachmayers Dolmetscherin.
„Katz-und-Maus-Spiel“
Sein derzeitiges Hauptproblem ist die Finanzierung der Dolmetscher zu organisieren. Denn wer zuständig ist, ist völlig unklar. Da er in New York Film studiert hat, kann er Vergleiche ziehen: Gänzlich ohne bürokratischen Aufwand stellt dort die Uni 14 Dolmetscher zur Verfügung. „Hier muss ich mit viel Mühe und Kraft bei diversen Behörden betteln, um die Kosten für die zwei Gebärdensprachdolmetscher abdecken zu können“, beklagt Bachmayer. „Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel.“
Derzeit besucht er fünf Kurse – die Dolmetschkosten pro Semester belaufen sich dadurch auf 10.816 Euro. „Ich würde gerne sieben Kurse besuchen, doch das ist finanziell nicht möglich.“ Bisher leistete das Bundessozialamt Oberösterreich Ausbildungsbeihilfe, die ein Drittel der Semesterkosten abdeckten. Den Rest deckte bisher das Land ab, „obwohl es eigentlich nicht dafür zuständig ist“, wie Thomas Gegenhuber, Vorsitzender der ÖH Linz betont. Dieses Semester ist das Land nicht mehr bereit einzuspringen, man erkundigte sich beim Bundesministerium, mit dem Ergebnis: Laut Behindertengleichstellungsgesetz seien die Unis als öffentliche Dienstleister dafür zuständig, beeinträchtigten Studierenden den gleichberechtigten Zugang zum Studium zu ermöglichen.
„Doch das Problem ist, dass die Uni dafür nicht mehr Geld bekommt“, kritisiert Gegenhuber. Die Verantwortung läge seiner Meinung nach beim Wissenschaftsminister, dieser wiederum spielt den Ball zurück an das Land (siehe Interview oben). „Irgendjemand muss sich jetzt einmal für zuständig erklären“, empört sich Gegenhuber. Derzeit wartet Bachmayer auf die Rückmeldung zu seinem Antrag auf außergewöhnliche Studienförderung vom Wissenschaftsministerium. „Dieser Bescheid entscheidet, ob ich als gehörloser Student in Linz in voller Barrierefreiheit mit Dolmetscherinnen studieren kann oder nicht.“ Derzeit ist ihm das Studium nur durch die finanzielle Unterstützung seiner Freundin möglich, „ohne sie hätte ich längst abgebrochen“. (trat/DER STANDARD Printausgabe, 11. Dezember 2007)
Artikel derStandard Niemand ist zuständig
Artikel derStandard Hahn im Interview
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